Matched

Von karinhoislschmidt.de  - Januar 30, 2025

Schwungvoll steuert Luise Wimmer in die Richtung der verspiegelten Eingangstüre. Sie hat ein Lächeln auf den Lippen und ist gespannt, was sie an diesem Montagmorgen erwartet. Die Firma hat um ein Notfallcoaching gebeten.Sie liebt ihren Job.

Beim Betreten des Gebäudes sieht sie schon den weißglänzenden Empfangstresen und marschiert zielstrebig darauf zu. Hoppla! Stolpernd erreicht sie das edle Möbelstück und stützt sich mit einem Stöhnen darauf ab. Der Sockel einer modernen  und vermutlich sehr teuren Skulptur wäre ihr beinahe zum Verhängnis geworden.

Hinter dem Tresen sitzt eine Frau, mittleren Alters, die brünetten Haare zu einem strengen Dutt gebunden. Über den goldenen Brillenrand hinweg schaut sie auf und hebt ihre Augenbrauen. Amanda Schulze ist auf dem Namensschild zu lesen. „Guten Tag, mein Name ist Luise Wimmer. Ich habe einen Termin mit Frau Matuschke“.

Frau Schulze nickt, steht wort los auf und begleitet Luise Wimmer in einen Raum. „Frau Matuschke kommt sofort, einen Cappucchino für sie?“

 „Sehr gerne!“ Antwortet Luise, bevor die Dame mit schnellen Schritten wieder verschwindet. Ob das Stühle sind? Um einen scheinbar schwebenden Glastisch stehen Objekte. Weiß glänzend und makellos sauber. Wie, bitteschön, gelingt sowas? Werden die Dinger wöchentlich erneuert? Luise mustert die seltsamen Teile und tritt zögernd näher. Mit entschlossenem Gesichtsausdruck unternimmt sie nach einer Weile den Versuch sich zu setzen. Mist. Sie findet sich auf dem Boden wieder, rappelt sich hoch und versucht es andersrum nochmal. Geschafft. Sie sitzt.

Die Tür öffnet sich mit Schwung und auf Highheels, erhobenem Kinn, die wallenden blonden Haare in den Nacken werfend, erscheint eine Dame. Vermutlich Frau Matuschke. Sie streckt ihre Hand mit XXL-Nägeln in Pink aus, um Luise zu begrüßen. Ihre Augen sind von Wimpern beachtlichen Ausmaßes umrahmt. Lashes heißt der Fachbegriff für diesen Modetrend, so hat eine Nichte Luise letztens aufgeklärt. Etwas zu lange starrt Luise ihr Gegenüber an und  tadelt sich sofort dafür. Mühevoll rappelt sie sich in eine aufrechte Position und reicht der Geschäftsführerin die Hand. 

"Luise Wimmer, hallo."

 "Angenehm, Matuschke."

Nach einem kurzen Gespräch über das Wetter und die Parkplatzsituation vor dem Firmengebäude geht Frau Matuschke dann ohne Umwege in die Vollen. Die Krankenstände sind in den letzten Jahren massiv gestiegen, die Angestellten heute zu empfindlich und weichgespült. Wild gestikulierend zetert sie, wobei ihre goldenen Armreife klimpern. Es sei schon ein wenig Effort angebracht. Wöchentlich wird ein frischer Obstkorb in die Abteilungen geliefert. Was wollen die denn noch? Die herrschende Arbeitsmoral matched definitiv nicht mit ihren Erwartungen. Es matched einfach nicht.

Es klopft an der Tür und Frau Schulze stellt den Cappuccino auf den Tisch. Frau Matuschke hat sich jetzt in Rage geredet und spricht ungehemmt weiter. Luise Wimmer fällt es indes mehr und mehr schwer ihr zu folgen und sie nimmt nur noch Wortfetzen wahr. Ihre Gedanken schweifen ab. Warum kommt ihr jetzt so aus dem Nichts Daniel in den Sinn? Daniel, ihre geliebte Puppe, welche die Augen schloss, wenn sie abgelegt wurde. Beim Hochnehmen klappten sie dann wieder auf. Manchmal, so erinnert sie sich jetzt, blieb das linke Auge ein wenig hängen. Die kleine Luise verstand es, mit ihren kleinen Fingerchen geschickt etwas nachzuhelfen.

Und da fällt es ihr auf. Das linke Augenlid von Frau Matuschke – es hängt so seltsam nach unten. Es scheint als hätte die Geschäftsführerin Mühe das Auge offen zu halten. Luise vernimmt ein unruhiges Zucken in ihrer rechten Hand. Ob sie mal eben soll? Frau Matuschke macht indes endlich eine Redepause und nimmt ihre Kaffeetasse. Langsam führt sie den Cappuccino zum Mund, als plötzlich ein Schatten im Milchschaum landet. Zwei Augenpaare schauen gebannt zu. Ein Wimpernkranz aus Kunststoff versinkt in Zeitlupe in einer perfekten Milchschaumkrone. Stille. Luise räuspert sich. Langsam und geschmeidig steht sie auf.

„Ich bedanke mich für das Gespräch, Frau Matuschke. Matched nicht“, sagt sie und verlässt den Raum, ohne eine Antwort abzuwarten. Frau Schulze blickt hinter dem Tresen überrascht auf. Luise lächelt ihr freundlich zu. Die Eingangsskulptur umgeht sie lächelnd, fast tänzelnd.

Mit einem tiefen Atemzug tritt sie hinaus in die frische Luft und streckt ihr Gesicht der wärmenden Vormittagssonne entgegen. 

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Karin Hoisl-Schmidt liebt es, das Leben in seinen bunten Facetten zu erforschen und zu beschreiben. Als Psychologin, Liedermacherin und Autorin will sie motivieren und inspirieren.

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