Eine etwas andere Weihnachtsgeschichte
Der köstliche Duft des Essens hängt im Zimmer. Angeblich Rinderbraten und Blaukraut. Zumindest hab ich bei der Fahrt hierher gehört, wie Lucie zu Robert gesagt hat „Hoffentlich ist der Rinderbraten heute nicht wieder so zäh wie letztes Jahr, und das Blaukraut nicht wieder versalzen.“
Ich versteh ja nicht viel von den Essensgewohnheiten der Menschen und warum sie immer was zu meckern haben. Ich würd mich freuen über ein Stück vom Braten. Zäh oder nicht. Hauptsache was zum Beißen. Aber ich bin eben nur der Hund und meine Rolle ist es hier auf dem flauschigen Teppich zu liegen, die Menschen zu beobachten und vor mich hinzudösen.
Schon seit Tagen ist Lucie angespannt. Oder sind es eher Wochen? Keine Ahnung. Jedenfalls erzählte sie mir in etlichen Gassirunden, dass wir heute schnell machen müssen, weil noch so viel zu tun sei für Weihnachten. Ich weiß nicht, was das ist, erinnere mich aber, dass ich die Geschichte schon öfter gehört habe. Wenn die Zeit kommt, in der es noch dunkel ist bei unserer ersten Runde morgens. Dann geht das wieder los mit diesem Weihnachten. Scheint so was wie ein regelmäßiges Rudeltreffen zu sein. Jedenfalls besuchen da Frauchen und Herrchen immer dieselben Leute. Auch andere, meiner Nase bekannten, Menschen kommen dazu. Heute ist es also wieder so weit.
Lucies und Roberts Teller sind leer. Scheint doch geschmeckt zu haben. Opa Rudolf hat nicht aufgegessen. Ich hab ihm zugeschaut. Er hat ewig auf etwas rumgekaut, könnte eine Rinderkopfhaut gewesen sein, und dann ausgespuckt. „Das Scheiß Gebiss“ hat er gesagt und dabei den Kopf geschüttelt. Versteh ich nicht. Ich würd ja so was nie liegen lassen. Früher hätte er wenigstens mit mir geteilt. Aber seitdem ich mal unter den komischen Baum mit den glänzenden Bällen gekotzt habe, darf er das nicht mehr machen. Hat Lucie gesagt. Ziemlich streng. Darum bin ich ihm auch nicht böse.
Gerade bringt Oma Gerda die kleinen Gläser und die Flasche mit diesem ekligen Wasser. Das scheint so ein Spiel zu sein, beim Menschentreffen. Erst essen sie ganz schnell und ganz viel. In etwa so, wie ich das immer mache, wenn Nele zu Besuch kommt. Die nervige Pudelin aus der Nachbarschaft. Mit der will ich auf keinen Fall mein Futter teilen. Mir geht es ja danach meistens ganz gut, aber die Zweibeiner scheinen das nicht zu vertragen. Sie prusten und jammern, reiben sich den Bauch und sagen das Essen sei zu fett gewesen. Und dann kommt das Ekelwasser – Schnaps nennen sie das. Das scheint wohl eine Medizin zu sein, aber sie muss scheußlich schmecken. Nachdem sich Robert das Zeug in den Mund gekippt hat, verzieht er immer ganz komisch das Gesicht und knurrt ein wenig. Ganz ehrlich – ich würde an seiner Stelle mal weniger in meinen Napf laden. Vielleicht kommt er dann ohne Ekelwasser klar. Aber ich bin ja nur ein Hund.
Auf keinen Fall jetzt einschlafen Beppo. Die letzten Male ist es nach dem scharfen Wasser richtig spannend geworden. Erst waren alle ganz müde und Lucie musste oft gähnen. Aber irgendwann wurde es dann laut und lauter und zum richtigen Durcheinander. Wenn Menschen viel sprechen, scheinen sie auch viel Durst zu bekommen und nach jedem Glas noch ein wenig lauter zu sprechen. Solange sie dabei auch noch lachen ist alles gut. Aber wenn das Lachen mal aufhört und es trotzdem laut bleibt, dann kann es passieren, dass einer oder gleich mehrere das Rudeltreffen ganz plötzlich verlassen. Beim letzten Mal waren es Moni und Dieter. Lucie hat dann geweint und ich musste meinen Lieblingsteppich verlassen und mich zum Trostkraulen zur Verfügung stellen. Was tut Hund nicht alles für sein Frauchen.
Ich glaube, darum gings, als Lucie neulich zu Robert sagte „Ich hab mir was überlegt. Wenn die Stimmung wieder zu kippen droht, erzähl ich einfach einen Witz.“
Robert meinte dann „Aber Schatz, du kannst dir doch Witze nie merken“.
„Hast Du eine bessere Idee?“
„Nein.“
„Na also. Ich finde einen Versuch ist es auf alle Fälle wert“.
Heute im Auto sagte Lucie dann zu Robert.
„Ich werde das mit dem Witz heute machen. Wirst schon sehen.“
Ich hab keine Ahnung, was ein Witz ist. Aber Lucie wird das schon machen und ich bin gespannt auf ihre neue Idee. Scheint ihr ja wichtig zu sein. Bis hierhin ist alles wie immer gelaufen, ich scheine den Witz also noch nicht verpasst zu haben.
Das Klappern der Gläser und Flaschen, das Plappern der Menschen und dieser wunderbar weiche Teppich unter mir machen mich so müde. Ich kann die Augen kaum noch offen halten.
Ich schrecke hoch und stelle meine Ohren auf. Hab ich da grad das Wort „Witz“ gehört? Verdammt. Ich muss wohl eingenickt sein. Ich versuche mich zu orientieren. „Nein, das ist kein Witz. Das ist pure Politik“ höre ich Dieter ziemlich laut zu Opa Rudolf sagen. Lucie hat Stress. Ich kann es genau sehen. Ihre Füße zappeln unter dem Tisch und alle Muskeln sind angespannt, wie bei mir, wenn ich an Rocky dem dämlichen Schäferhund vorbei muss. Mensch, Lucie, entspann dich. Hier beißt ja niemand.
Und was ist mit ihrem Witz? Hab ich den verschlafen? Ich sehe, wie Robert unter dem Tisch nach Lucies Hand greift und sie tätschelt. Good Job, Herrchen. Ich werde erstmal noch nicht gebraucht.
Lucie rutscht auf ihrem Stuhl hin und her und richtet sich auf. „Hört mal her“ sagt sie und lächelt in die Runde.
Es scheint sie aber niemand zu hören. Mit einer Stimme, fast so schrill wie Roberts Hundepfeife, sagt Moni gerade zu Oma Gerda „Das kann ja wohl nicht dein Ernst sein!“.
„Und ob. Was hätten wir denn da früher gemacht? Wir waren nicht so verwöhnt wie ihr heute!“ Also mit mir redet Oma Gerda immer freundlicher.
Lucie räuspert sich „Ich möchte euch mal was erzählen.“ Ob jetzt dieser Dings, also das Neue, dieser Witz, kommt?
Opa Rudolf schiebt laut seinen Stuhl zurück, steht auf und schlurft zum Kühlschrank. Er hat schon wieder Durst. Oma Gerda stapelt laut klappernd die Teller aufeinander. Geht das denn nicht leiser? Moni putzt sich mit einem weißen Tuch die Nase, obwohl sie ja gar nicht schmutzig war, soweit ich das von hier aus sehen konnte. Dieter schaut sich sehr interessiert an, was auf seiner Flasche steht. Irgendwie schon schade, dass Hunde nicht lesen können. Robert knetet und tätschelt Lucies Hand, die mit hängenden Schultern dasitzt. Hm. Also was ist jetzt mit diesem Witz? Bis jetzt ist noch alles so wie immer.
Ich glaub, ich schau mal nach Lucie. Ciao, Teppich! Ich hab was zu tun.
Mit meiner Nase stupse ich Lucies Hand an und leg meinen Kopf auf ihr Knie. Das funktioniert immer. Sofort beginnt sie, mich zu kraulen. Ich höre, wie sie tief ein und ausatmet. „Hallo Beppo! Na Süßer, möchtest du raus?“
Great Idea! Vielleicht gibts draußen was Neues zu schnuppern. Hier ist ja doch alles beim Alten. Schwanzwedelnd geh ich schon mal zur Tür. Lucie legt mir lächelnd die Leine an.
Vielleicht hatte Robert recht, und sie konnte sich den Witz nicht merken. Aber sie scheint gar nicht traurig darüber zu sein. Gibt ja auch wirklich wichtigere Dinge. Unsere Gassirunde zum Beispiel.
©️Karin Hoisl-Schmidt